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Foto Novartis

Muster-Aufsteiger: Daniel Vasella

"Ich habe unterschätzt, wie öffentlich gewisse Aspekte meines Lebens sind"

Novartis-Chef Daniel Vasella über seine Karriere, seine Beziehung zu Marc Moret und seinen jugendlichen Kampf für Lenin statt Kreuz

Daniel Vasella ist der Schweizer Muster-Aufsteiger: Nach beispiellosen Karrieresprüngen ist der mit 44 Jahren der mächtigste Mann im Pharmakonzern Novartis. Aus dem früheren Marxisten und Oberarzt ist ein Top-Manager geworden, der das Skalpell immer noch zu führen weiss, wenn es ums Geschäft geht.

Reports: Daniel Vasella - oder müssen wir Dan Vasella sagen?

Daniel Vasella: ... was Ihnen lieber ist!

Wie entstand eigentlich "Dan"?

Vasella: Dieses Kürzel stammt aus meiner Zeit in den USA. Ich wurde einfach "Dan" genannt.

Haben Sie das Label "Dan" selbst eingeführt?

Vasella: Nein. Das wäre mir nie im Traum eingefallen.

Mögen Sie mit "Super Dan" hofiert zu werden?

Vasella: Ich weiss nicht, ob das ein Hofieren ist, mir kommt das eher wie ein Karikieren vor. Alle diese Präambeln werden einem Menschen ja nie gerecht - was immer sie auch sind.

Herr Vasella, ist die bisher grösste Pharma-Fusion aller Zeiten geglückt?

Vasella: Der Fusions-Prozess läuft immer noch. Ob die Fusion geglückt ist, wird man abschliessend erst in ein paar Jahren beurteilen können.

Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leiden anhaltend unter Stress. Sie klagen, sie müssten zuviele Arbeiten gleichzeitig erledigen.

Vasella: Die Fusion hat zum Teil tiefgreifende Veränderungen im Leben der Leute zur Folge. Diese Identitätsänderung durchzustehen ist für alle sehr schwierig, weil ein Zusatz an Arbeit das Lernen und nicht so sehr die Routine betrifft. In dieser Phase der Fusion herrscht eine gewisse Un-Ordnung des Wandels, die von den Mitarbeitern Flexibilität abverlangt.

Ihnen scheint der Wandel nicht zuzusetzen. Ihr breites Strahlemann-Lachen auf all den Photos ist bereits legendär. Sind Sie ein sonniges Gemüt?

Vasella: Ja, eigentlich schon, es geht mir gut. Und ich bin von Natur aus zufrieden.

Kein Wunder, wenn man Ihre kometenhafte Karriere betrachtet (Vasella bricht in schallendes Lachen aus). Herr Vasella, weshalb lachen Sie?

Vasella: Weil ich eigentlich erwartete, Sie würden meine gute Gemütslage mit meiner Familie in Zusammenhang bringen.

Wir wollten wissen, welches Ihr persönlicher Beitrag an die kometenhafte Karriere war.

Vasella: Vor allem in Europa erkennen wir einen tiefgreifenden Wandel. Die traditionelle Karriere, die man sich intern über Stufen abverdient, ist nicht mehr die Regel. Auch das Alter der Führungskräfte hat sich in den letzten zwei, drei Jahren nach unten verschoben.

Wären Sie auch an Ihrem heutigen Job, wenn Marc Moret, der langjährige Sandoz-Präsident und Architekt der Novartis-Fusion, nicht der Onkel Ihrer Frau wäre?

Vasella: Ich wäre kaum an meiner heutigen Stelle, wenn nicht auch der Verwaltungsrat und der Verwaltungsratsausschuss diese Wahl getroffen hätten.

Tatsache ist doch, dass Marc Moret Sie in die Sandoz geholt, Ihnen die Entwicklung in den USA ermöglicht und Sie schliesslich zum operativen Chef von Novartis gemacht hat.

Vasella: So einfach war es nicht. Marc Moret hat mir den Tip gegeben, Max Link, den damaligen Pharma-Chef von Sandoz anzurufen. Herr Link hat mich eingestellt. Moret griff nicht ein. Das wäre auch profund gegen seine Einstellung gewesen. Er hätte nie den Verdacht aufkommen lassen, Nepotismus zu betreiben. Vielleicht legte er mir gegenüber sogar eher etwas strengere Massstäbe an.

Bewundern Sie Marc Moret?

Vasella: Es gibt Aspekte und Fähigkeiten, die meinen ungeteilten Respekt verdienen. Er hat einen ausserordentlich guten Geschäftssinn. Auch spürte er sehr zielsicher und gegen den Wind, wenn jemand schummelte. Er war rational, hatte aber auch ein ausserordentliches Gespür.

Wie weit nimmt er auf Sie noch Einfluss als Novartis-Ehrenpräsident, der im Hintergrund die Fäden zieht?

Vasella: Er zieht die Fäden nicht mehr.

Worin unterscheiden Sie sich gegenüber Marc Moret?

Vasella: Es gibt zahlreiche Unterschiede. Was uns verbindet, ist eine emotionale Verbindung zu Freiburg.

Gibt es eine Seelenverwandtschaft?

Vasella: Was ist das? Könnnen Sie mir helfen?

Beispielsweise eine gemeinsame Vorliebe für schnelle Wagen gleichen Typs. Marc Moret fuhr Porsche wie Sie auch - er einen roten, Sie einen schwarzen.

Vasella: Von meinem verstorbenen Onkel erhielt ich einen roten Porsche. Den tauschte ich kürzlich gegen einen neuen ein. Helmut Sihler, Vizepräsident von Novartis und Aufsichtsratsvorsitzender der Firma Porsche, hat mich von den Vorteilen des neuen Modells überzeugt.

Dürfen wir Sie fragen: Wieviel verdienen Sie?

Vasella: (lacht vergnügt) Ich übernehme da die Formulierung meines Präsidenten Alex Krauer: Das geht nur den Verwaltungsratsausschuss und meine Frau etwas an. Ich verdiene sehr gut, viel mehr als ich je gedacht habe. Und bin sehr zufrieden.

Herr Vasella, Sie sind von der Abstammung her Bündner, sprechen unverfälschten Bündner Dialekt, sind aber in Freiburg als Bilingue aufgewachsen und seit einigen Jahren weltweit tätig. Wo sind Sie eigentlich zu Hause?

Vasella: Eine schwierige Frage! Zu Hause in Freiburg sprachen wir nie Freiburgerdeutsch. Wenn ich doch mit einem freiburgischen Wort heim kam, hiess es: So reden wir nicht, du bist Bündner. Obschon meine Freunde Freiburger waren, wurde ich nie richtig Freiburger. Ich bin Bündner, obschon ich - von einem einjährigen Aufenthalt in Falera abgesehen - nie in Graubünden wohnte. Somit ist meine Heimat dreigeteilt: Die vererbte Identität mit Graubünden, die emotionale Verbundenheit mit Freiburg, und der Wohn- und Arbeitsort Basel.

Als Wohnort allerdings nicht mehr lange. Sie ziehen nächstens ins steuergünstige Risch am Zugersee, wo Sie derzeit ein Haus bauen. Warum ziehen Sie von Basel weg?

Vasella: Wir wollten in der Region Basel bleiben, damit es für die Kinder keinen Schulwechsel gibt. Als wir nichts Geeignetes fanden, entschieden wir uns für einen richtigen Wechsel. Dieser Ort musste schön, erreichbar, schulisch günstig und schliesslich auch steuertechnisch attraktiv sein.

Der Vorwurf folgte auf dem Fuss: Steuerflucht.

Vasella: Verständlich, aber nicht gerechtfertigt.

Die Hohe Basler Gesellschaft hat sehr unwirsch auf die Ankündigung Ihres Auszugs reagiert. Sogar in der Kantonsregierung war Ihr privater Domizilwechsel ein Thema. Berührt Sie das?

Vasella: Davon höre ich praktisch nichts. Das spielt sich ja auch in viel höheren Sphären ab. Ich bin hier in der Arbeitswelt und nehme auch das Recht auf eine Privatsphäre in Anspruch. Allerdings wurde mir erst hinterher bewusst, wie öffentlich gewisse Aspekte meines Lebens sind. Das habe ich sicher unterschätzt.

Stört es Sie nicht, täglich zwischen Zugersee und dem Rheinknie zu pendeln?

Vasella: Ich werde mich fahren lassen, um die Zeit zum Arbeiten nutzen zu können. In den USA lernte ich die Distanz zwischen Wohn- und Arbeitsort schätzen als Möglichkeit, das am Arbeitsplatz Erlebte zu verarbeiten. Da ich damals den Wagen selbst fuhr, konnte ich nicht arbeiten, rief aber häufig meine Frau an, wobei wir unsere Tageserlebnisse austauschten.

Bevor Sie zu Sandoz kamen, waren Sie Oberarzt mit Pathologie-Erfahrung im Berner Universitätsspital. Welches sind die Qualitäten, die Ihnen als Mediziner der operative Führung eines Pharma-Giganten erleichtern?

Vasella: Im Spital lernte ich die Bedürfnisse der Patienten und des Arztes kennen. Dies bewirkte, dass ich später in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Sandoz und Novartis sehr schnell akzeptiert wurde. Die Leute sahen, dass ich ihre Ueberlegungen und Sprache verstand. Im Spital lernte ich aber auch die Team-Arbeit, den Umgang mit Unsicherheiten, Risiken und Verantwortung sowie Arbeitseinsatz. Gemessen an meiner damaligen Belastung als Assistenzarzt ist die Arbeit, die ich heute leiste, fast ein Erholungsaufenthalt.

Uns wundert immer wieder, dass ein Konzern mit fast 90'000 Mitarbeitern noch überblickbar ist, wo doch häufig schon in Kleinbetrieben die Linke nicht mehr weiss, was die Rechte tut. Kennen Sie Novartis?

Vasella: Den Ueberblick kann ich mir schon verschaffen, den Durchblick aber überall zu haben, ist nicht möglich. Man kann auf einer höheren Ebene grössere Abläufe und Zusammenhänge erkennen. Was in jedem Land, in jedem Betrieb, in jeder Funktion abläuft, das entzieht sich meiner Kenntnis.

Wo haben Sie noch Erkenntnis-Defizite?

Vasella: Das sind so viele Defizite, dass ich gar nicht alle aufzählen kann (lacht). Man muss die Illusion verlieren, den totalen Durchblick je zu erlangen.

Wieviele Tochterfirmen hat Novartis?

Vasella: Es sind über hundert, aber genau kann ich sie nicht beziffern.

Können Sie sich rational vorstellen, wie gross die Summe von 31,18 Milliarden Franken ist?

Vasella: (lacht) Das entgeht meinem Vorstellungsvermögen. Jemand versuchte mir einmal die Höhe dieses Betrags in Kilometern gestapelter Tausendernoten zu veranschaulichen.

Das ist der letztjährige Umsatz von Novartis, der um satte 19 Prozent gewachsen ist. Wieviel verdient eine Novartis-Arbeitskraft der tiefsten Lohnklasse in der Schweiz?

Vasella: Zwischen 45'000 und 50'00 Franken.

Sie liegen nicht schlecht. Letztes Jahr waren es um 50'000 Franken, plus Aktienbezugsrechte, plus drei Prozent Bonus.

Vasella: Im Vergleich zu andern Industrien der Schweiz zahlen wir sehr gut - es sind etwa 30 Prozent mehr als für vergleichbare Arbeiten in andern Schweizer Städten.

Leute, die Ihnen nahestehen, sagen, Ihr grösster Nachteil sei, dass Sie noch nie eine wirkliche geschäftliche Niederlage im Sinne eines Misserfolgs durchstehen mussten.

Vasella: Ich hoffe im Interesse des Geschäfts, dass die Niederlage gar nie eintritt. Es gab genügend andere schwierige Lebenssituationen, die mir die nötige Demut vermittelten und die Einsicht, dass es für alles einen Zeithorizont gibt.

Verleiht es Ihnen bei aller Demut nicht ein unerhörtes Gefühl von Macht, Bedeutung und Stärke, über ein Imperium von 31 Milliarden Franken Umsatz zu herrschen?

Vasella: Ich wäre ja so dankbar, wenn ich dieses Gefühl einmal haben könnte! Sich aber innerlich narzisstisch aufzumöbeln würde ja bedeuten, das Bewusstsein der Endlichkeit, Unvollkommenheit und Fragilität der eigenen Person zu negieren.

Sie vertreten als 44jähriger den Manager-Typ der jungen Generation. Worin unterscheiden Sie sich von den Top-Managern, die die grossen Wachstumssprünge der letzten zwanzig Jahre verantwortet haben und jetzt vor dem Rückzug stehen?

Vasella: Diese Generation, die viel geleistet hat, ist genauso disparat wie die jungen Nachrückenden. Es gibt keinen neuen Manager-Typus.

Sie kümmern sich - laut Kaderleuten - um zahlreiche Details, die Sie genausogut delegieren könnten. Gefürchtet sind vor allem Ihre Papiernotizen.

Vasella: Ich teile die Meinung nicht, ich könne nicht delegieren. Meine Kollegen in der Konzernleitung geniessen eine grosse Autonomie. Es ist allerdings zutreffend, dass ich meine Kommentare und Meinungen meist oben rechts auf die Memos schreibe. Das ist zwar informell, aber effizient. Wer führen will, muss wissen, worum es geht.

Kaderleute empfinden das als Einmischung.

Vasella: Dass das so empfunden wird, verstehe ich. Doch nach meiner Meinung ist Dreinreden erlaubt, solange ich etwas zu bieten habe. Wenn ich das nicht mehr kann, muss ich den Mund halten.

Die Personalpolitik gehört zu Ihren zentralen Domänen. Wie weit treffen Sie persönlich die Auswahl?

Vasella: Erst schaue ich mir - allenfalls unter Einschaltung eines Headhunters - die Kandidatenliste an. Darauf werden Prioritäten gesetzt und Interviews geführt. Erst dann lege ich Alex Krauer meinen Kandidaten vor. Bei der Besetzung von Schlüsselpositionen sieht auch Herr Krauer die Kandidaten. Interessant ist, dass wir beide die Führungskräfte äusserst ähnlich beurteilen.

Sie sollen den kommerziell äusserst wichtigen neuen Pharma-Chef Jerry Karabelas aus den USA nach Basel geholt haben.

Vasella: Das ist falsch.

Haben Sie ihm eine Eintrittssumme zahlen müssen?

Vasella: Ja. Praktisch alle externen Top-Kräfte sind über Optionen mit dem früheren Betrieb vernetzt. Ohne den Auskauf von Optionen würden wir auch keinen Forschsungschef mehr finden.

Im Fall Karabelas soll es sich um eine siebenstellige Summe gehandelt haben.

Vasella: Wieviel sind sieben Stellen? Es ist gut möglich.

Sie sagten einmal, Sie führten ein "ganz normales Familienleben". Was ist ein "normales Familienleben"?

Vasella: Das Klima muss stimmen. Es gibt keine langen Auseinandersetzungen oder grossen Stress. Als ich meiner Frau vor Jahren einmal sagte, ich möchte gern in die Industrie, unterstützte sie mich entscheidend. Meine Frau und ich haben eine lange gemeinsame Vergangenheit. Wir sind seit der Stundentenzeit ein Paar. Kommenden Mai werden wir 20 Jahre verheiratet sein.

Beteiligen Sie sich an der gewöhnlichen Haushaltsarbeit? Oder erleben Sie die Familie von der Schönwetterseite?

Vasella: Früher half ich beim Kochen und Putzen. Heute fehlt mir häufig die Energie. Aber wenn ich sehe, dass meine Frau unter Druck ist, ist es normal, dass ich mithelfe.

Ist eine Familie mit Frau und drei Kindern mit einem Job, wie Sie ihn wahrnehmen, überhaupt ohne weiteres vereinbar?

Vasella: Es braucht von beiden Seiten die Bereitschaft, viel zu geben und auf vieles verzichten zu können.

Politiker klagen am Ende ihrer Karriere häufig, die Familie vernachlässigt zu haben.

Vasella: Gott sei Dank habe ich es einfacher als die Politiker: Ich habe viel weniger Repräsentationspflichten. Und da schaue ich auch, dass ich abends frei bin und bei der Familie sein kann.

Haben Sie die Möglichkeit, in Ruhe ein Buch zu lesen, ein Konzert zu besuchen oder sich mit andern Weltsichten zu beschäftigen?

Vasella: Mit andern Weltsichten beschäftige ich mich täglich. Zum Bücherlesen fehlt mir heute die Energie.

Liegt ein Schmöker auf dem Nachttisch?

Vasella: Nein, im Moment nicht mehr.

Sie gehören in keiner Weise zum Basler Daig. Trotzdem oder gerade deshalb kursieren über keinen Pharma-Manager so viele Gerüchte wie über Sie.

Vasella: Ist das so?

Es ist so. Es heisst, Sie seien Mitglied von Scientology.

Vasella: So 'n Schmarren.

Oder von Opus Dei.

Vasella: Auch Schmarren.

Es heisst, Sie hätten mit Bischof Haas studiert...

Vasella: ... (lacht schallend) Tatsächlich?...

...und sogar mit ihm das Zimmer geteilt.

Vasella: (Lacht weiter) Was immer das auch heisst! Es stimmt nicht.

Mögen Sie Wesen und Politik von Bischof Haas?

Vasella: Ich finde es richtig, zu seiner eigenen Ueberzeugung zu stehen, auch wenn sie nicht populär ist. Aber man sollte sich nicht von einer Kongregation von Gläubigen distanzieren. Man muss bereit sein, hinzuhören und auch zeigen, dass man hört und aufnimmt. Ich bin absolut gegen jedes Dogma. Ich bin in diesem Sinne überhaupt nicht katholisch.

Sind Sie ein gläubiger Mensch?

Vasella: Ja.

Besuchen Sie die Kirche?

Vasella: Ich habe mir vorgenommen, die schöne kleine Kirche in Risch über dem Zugersee gelegentlich zu besuchen.

Sie haben Ihren Vater, einen Professor in Freiburg, im Alter von 13 Jahren verloren. Wie wurden Sie mit diesem Verlust fertig?

Vasella: Das war für mich sehr schwer. Er war ein sehr liegbenswürdiger, herzlicher Mensch, den ich sehr gern hatte. Der Tod kam sehr unerwartet, innerhalb einer Woche nach einer Operation. Ich vermisste meinen Vater sehr lange. Nachdem ich ihn sicher idealisiert hatte, kam sehr viel später auch die Frage nach seinen schwächeren Seiten.

Welche Charakterzüge haben Sie von ihm übernommen?

Vasella: Ich identifizierte mich mit ihm in der Art, wie er mit uns Kindern herzlich und voller Zuneigung umging.

Findet in Ihrer Familie die Diskussion um Gerechtigkeit, arm und reich in der Gesellschaft schon statt?

Vasella: Ich war eben in Brasilien, Argentinien und Indien. Vor allem Indien ist ein Land, das auch mich nicht unberührt liess. Dort drängt sich die Frage auf, wie wir mit diesen enormen sozialen Unterschieden leben können, aber auch welche humanitären Aktionen wir als Firma unterstützen wollen. Allerdings sind wir keine soziale Institution.

Hat die Reise bei Ihnen einen sozialen Bewusstseinsprozess ausgelöst?

Vasella: Verstärkt, nicht ausgelöst.

Die Armen werden ärmer, die Reichen reicher.

Vasella: Das glaube ich nicht. Die Armen werden weniger arm und die Reichen werden viel reicher. Aber die Diskrepanz ist immer noch enorm gross. Manchmal frage ich mich als Privatperson schon, wie wir solche Divergenzen in uns selber vereinbaren können.

Bedeutet Globalisierung nicht auch, dass die Wirtschaft offensiv für einen global besseren Verdienstausgleich sorgen müsste - im eigenen Interesse, weil sonst soziale Unruhen ausbrechen, an denen die Wirtschaft kein Interesse haben kann?

Vasella: Mit der Globalisierung arbeiten wir ja an diesem Ausgleich - die Frage ist, auf wessen Kosten. Wenn wir eine Fabrik in Indien eröffnen statt in der Schweiz, dann klagt man hierzulande. Arbeitslosigkeit ist ein weltweit ungelöstes Problem, aber ethisch-moralisch muss die Frage erlaubt sein, weshalb eine Arbeitsstelle in der Schweiz mehr Wert sein sollte als beispielsweise in Indien, wo Leute an Hunger oder fehlender gesundheitlicher Versorgung sterben.

In Ihrer Sturm- und Drangzeit haben Sie als Mitglied einer linken Revoluzzer-Organisation schon mal für Veränderungen gekämpft. Welches war Ihre Rolle?

Vasella: Ich war aktiv im Vorstand der marxistisch-leninistischen Schülerorganisation "Cercle Grachus". Wir kämpften für freie Meinungsäusserung, gegen das Pflicht-Gebet und dafür, das Porträt Lenins anstelle des Kreuzes im Klassenzimmer aufhängen zu dürfen. Zur Revolutionären Marxistischen Liga, die in unserer Schule auch aktiv war, fand ich dagegen keinen Zugang. Fanatismus und Dogma-Gläubigkeit waren mir schon damals zutiefst zuwider.

Bereuen Sie Ihr damaliges Engagement in einer wirtschaftskritischen Organisation?

Vasella: In keiner Art und Weise. Im Gegenteil.

Was ist vom damaligen Revoluzzerherzen und feu sacré noch übriggeblieben?

Vasella: Der Einsatz für Werte, an die man glaubt, und die Meinungsäusserungsfreiheit.

Heute aber stehen Sie auf der andern Seite.

Vasella: Man stellt mich vielleicht auf diese Seite, aber ich stehe auf keiner Seite.

Braucht es in der modernen Gesellschaft überhaupt noch kritische Geister oder könnte man sie im Sinne der betriebswirtschaftlichen Effizienz als unproduktiven Kostenfaktor einsparen?

Vasella: (lacht) Kritische Denker sind sehr wichtig. Ich halte auch die Aeusserung von kritischen Meinungen für enorm wichtig.

Was ist am Privatmann Daniel Vasella anders als am Geschäftsmann Daniel Vasella?

Vasella: Im Geschäft gibt es Fragen, in denen es primär um das Geschäftliche geht, und nicht primär um die Menschen. Da fällt die Emotionalität weg.

Fällt Ihnen das nicht schwer?

Vasella: Nein, überhaupt nicht.

Wie reagieren Sie im Zorn?

Vasella: In der privaten Umgebung kann ich auch mal laut werden, doch die Sache ist dann rasch vorbei. Im Geschäft gibt es zwei Arten: Ich kann eisig und faktenorientiert werden, bis die Sache gelöst ist. Wenn der Konflikt sachlich gut gelöst ist, schmilzt auch die Vereisung. Wenn sich jemand aber, was extrem selten passiert, ungebührlich, unanständig oder rücksichtslos benimmt, dann kann ich in offenen Zorn ausbrechen.

Gibt es manchmal auch Momente, in denen Sie den Bettel am liebsten hinschmeissen möchten?

Vasella: Es gibt Momente, in denen ich mich frage, weshalb ich diesen Job mache.

Zum Zwecke optimaler Wirkung werden sie geschult, Ihre Beraterin ist Kathy Bloomgarden von der US-Agentur Ruder Finn. Was haben Sie dort gelernt?

Vasella: Ich lernte sehr viel im Uebermitteln schriftlicher Botschaften - beispielsweise die Botschaft des Dias schon im Titel zu vermitteln. Interview-Technik und Patienten-Befragung lernte ich als Arzt. Kommt dazu, dass ich von Natur aus Freude am Kommunizieren habe.

Seit der Fusion sind bereits zwei Divisionsleiter ausgeschieden - Pharma-Chef Pierre Douace eher altershalber, Ernährungs-Chef David Pyott aus persönlichen Gründen. Welcher Novartis-Spitzenmann geht als nächster von Bord?

Vasella: Wenn ich das wüsste!

Sitzt Agro-Chef Wolfgang Samo fest im Sattel?

Vasella: Ganz fest.

Herr Samo hat vor einem Jahr einen bemerkenswerten Brief an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verteilen lassen, in dem er sie mitfühlend auffordert, mit dem Vorgesetzten zu reden, wenn sie angesichts des hohen Erfolgsdrucks "kein Licht am Ende des Tunnel" mehr sehen. Wie haben Sie auf diesen allgemein als sehr "menschlich" empfundenen Brief reagiert?

Vasella: Wenn man seinen Mitarbeitern so etwas offeriert und nachher auch für Ihre Anliegen da ist, finde ich das sehr gut.

"Business Week" zitierte Sie mit der Aussage, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten "so hart drangenommen werden, dass sie keine Zeit hätten, sich in Kämpfen zu verlieren". Das tönt, als seien Sie ein Schinder.

Vasella: Das kann man so interpretieren. Es geht mir aber nicht ums Schinden. Die Leute sollen so viele sinnvolle Aufgaben haben, dass sie nicht Zeit haben, sich in Grabenkämpfen zu verlieren. Sie sollen Freude haben, in einer Weltklasse-Firma einen sinnvollen Arbeitsplatz zu haben. Wer zu wenig Arbeit hat, beginnt Probleme zu suchen und zu reklamieren.

Wann werden Sie Präsident des Verwaltungsrates?

Vasella: Ob je - das fragen Sie den Verwaltungsrat.

Laut Fusionsvertrag dürfen Verwaltungsräte nicht länger als 12 Jahre dieses Amt bekleiden ...

Vasella: ... Sehen Sie, meine Zeit ist schon bald vorbei ...

... genau, wir haben ausgerechnet, dass Sie als Verwaltungsrat mit 55 frühpensioniert werden müssten. Könnten Sie sich damit abfinden?

Vasella: Selbstverständlich, wenn es so weit kommt. Was mich privat betrifft, wüsste ich mich sehr wohl neu zu orientieren.

Ist es nicht Ihr Ziel, bis zu Ihrer Pensionierung an der Spitze von Novartis zu stehen?

Vasella: Nein, das ist kein definiertes Ziel. Ich habe nur einen Wunsch: Dass es der Firma gut geht, wenn ich abtrete - wann immer dies sein wird. Es gibt gewisse Zyklen, die man nicht überschreiten sollte.

Könnten Sie sich vorstellen, auch einen ganz andern Job zu machen?

Vasella: Ja.

Welchen zum Beispiel, Homöopathie?

Vasella: Ich habe Ideen. Aber lassen Sie mir meine geheimen Phantasien und Vorstellungen.



Spuren-Zieher Daniel Vasella, 44, ist Delegierter des Verwaltungsrates und Vorsitzender der Geschäftsleitung von Novartis. Vasella, mit Bündner Abstammung aufgewachsen in Freiburg, war als promovierter Mediziner vor seinem Eintritt in den damaligen Pharmakonzern Sandoz im Jahr 1988 Oberarzt am Berner Inselspital. Seinen Uebertritt in die Chemieindustrie startete er mit einem vierjährigen Aufenthalt für Sandoz in den USA, unter anderem in der Position eines Marketingdirektors der amerikanischen Pharmagesellschaft. Zurück in der Schweiz stieg Vasella rapide auf bis zum operativen Chef der Pharma-Division. Der grosse Sprung gelang ihm bei der Fusion von Ciba und Sandoz zu Novartis, die Sandoz-Präsident Marc Moret, der Onkel seiner Ehefrau, ausdachte. Vasella wurde operativer Chef des neuen Konzerns mit über 31 Milliarden Franken Umsatz und gegen 90'000 Mitarbeitern. Daniel Vasella ist Vater eines Mädchens und zweier Buben im Alter zwischen sechs und 14 Jahren. Seine diesjährige Neujahrskarte trug das japanische Sprichwort: "Lasst uns nicht dorthin gehen, wohin der Weg führt. Statt dessen wollen wir dorthin gehen, wo es noch keinen Weg gibt, und eine Spur hinterlassen."

12. April 1998

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(c) by Peter Knechtli