Novartis gibt den Strom-Tarif an

Die Liberalisierung des Elektrizitäts-Marktes kündigt sich an

Einen Eindruck der kommenden Auseinandersetzung um die Liberalisierung des Schweizer Strommarktes vermittelt in Basel der Pharmakonzern Novartis: Er gibt gegenüber dem Basler Elektrizitätslieferanten schon jetzt den Tarif bekannt.

Der Weltkonzern Novartis ist mit Abstand der grösste Strombezüger der Industriellen Werke Basel (IWB): Auf 26 Millionen Franken beläuft sich seine jährliche Elektrizitätsrechnung. Würde Novartis die Energie aber jenseits der Grenze bei der Electricite de France beziehen, könnte das Unternehmen jährlich sechs Millionen Franken sparen. Statt für durchschnittlich 9,6 Rappen pro KWh ist Elektrizität auf dem weitgehend auf Kernkraft basierenden französischen Markt für 7,5 Rappen zu haben.

Diese Rechnung präsentierte Novartis dem Staatsbetrieb IWB unverblümt. Zusammen mit Roche verbrauchet Novartis 100 GWh, was einem Viertel des Basler Elektrizitätsverbrauch entspricht. Nur "wenige Massnahmen" wie der Bau einer Transformationsanlage, so Novartis-Infrastrukturchef und FDP-Nationalrat Johannes Randegger, wären nötig, um den Strom aus französischer Quelle zu importieren.

Realitätsfremd ist dieses beispielhafte Szenario keineswegs: Vergleichbar mit der Oeffnung des Telekommunikationsmarktes soll in Europa auch der Elektrizitätsmarkt liberalisiert werden. Daran sollen nicht nur die EU-Staaten, sondern - so das ambitiöse Ziel - ab Frühjahr 1999 auch die Schweiz teilnehmen. Den Entwurf für ein Elektrizitätsmarktgesetz will der Bundesrat Anfang nächsten Jahres in die Vernehmlassung gegeben.

Das Paragraphenwerk sieht die schrittweise Marktöffnung vor, ohne allerdings die landeseigenen energiepolitischen Interessen - insbesondere den Schutzs der erneuerbaren Energie und die rentable Auslastung der Wasserkraftwerke - preiszugeben. Priorität beim Marktzutritt haben gemäss Gesetzesentwurf Endverbraucher mit einem Jahrsverbrauch von mehr als 40 GWh. Schrittweise soll der freie Einkauf aber auch mittelgrossen Betrieben und dem Gewerbe ermöglicht werden.

Mit dieser neuen Regelung sieht sich IWB-Direktor Eduard Schumacher jedoch vor mehr als ein Problem gestellt. Denn Geld verliert er so oder so: Wenn er sich unflexibel zeigt, verliert er auf einen Schlag die grössten Kunden und allein mit Novartis 16 bis 20 Millionen Franken Umsatz. Es bleiben nur noch gewisse Einnahmen als Entschädigung für die Netzbenützung. Kommt er Novartis mit einem konkurrenzfähigen Arrangement von 7,5 Rappen pro KWh entgegen, dann verliert er "nur" sechs Millionen Fanken: Bei geringster Marge - wenn überhaupt - liegt der Tarif nur noch hauchdünn über den Selbstkosten von 7 Rappen. Dafür laufen die Turbinen der Wasserkraftwerke.

Dass hier die Industrie ein "erpresserisches Spiel" treibe, wie es Novartis in der Oeffentlichkeit auch schon vorgeworfen wurde, lässt der IWB-Direktor allerdings nicht gelten: "Es ist ein Ausnützen und Ausspielen der Marktöffnung, keine Erpressung." Schumacher widerspricht auch der Auffassung, dass die Kleinkunden mit höheren Gebühren die günstigen Tarife der Grossverbaucher subventionieren müssten. Die Privatkunden-Belastung, so Schumacher, liege nur knapp über der Kostendeckung.

Allerdings macht Schumacher kein Geheimnis daraus, dass er eine "gewisse Preiselastiztität" hat: Vergangenes Jahr konnten die IWB trotz insgesamt 11 Prozent Strompreisreduktion 56 Millionen Franken ausserordentliche Abschreibungen vornehmen. "Das ist meine Spatzung", sagt der IWB-Chef.

Bisher die schärfste Kritik an der Novartis-Politik kommt aus Umweltschutzkreisen: Die befürchten, dass die einheimischen erneuerbaren Energien nicht mehr konkurrenzfähig sein werden. SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner: "Wenn Strom aus dem Ausland für nur drei bis sechs Rappen eingekauft werden kann, wird jedes neue Wasserkraftwerk unrentabel. Und wenn die Wasserkraftwerke verlottern, verlieren die Gebirgskantone ihren einträglichsten Wirtschaftszweig."

Gleichzeitig würden "billige Schmutz-Technologien" aus Atom- und Kohlekraftwerken das Rennen machen werden. Darum fordert Rechsteiner, auch Präsident des Nordwestschweizer Aktionskomitees gegen Atomkraftwerke (NWA), dass die externen Kosten wie beispielsweise Risiko und Entsorgung in den Preisberechnungen berücksichtigt werden müssen.

In eine ähnliche Stossrichtung zielte der Protest, den Greenpeace kürzlich vor dem Novartis-Hauptsitz deponierte: Statt Atomstrom aus Frankreich zu importieren, so die Forderung, solle das Chemieunternehmen erneuerbare und nachhaltige Energietechnologien konsequent fördern. Bei Novartis aber stehen die Zeichen derzeit auf Kostensenkung: Die geplante vorbildliche Sanierung eines Laborgebäudes unter Einsatz einer 1'600-Quadratmeter-Photovoltaikanlage wurde aus Kostengründen sistiert.

27. Oktober 1997

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