Foto OnlineReports Fritz Gerber. Der Mann aus dem Emmental, der für 15 Milliarden Franken Boehringer Mannheim kauft VON PETER KNECHTLI Beruflich hat es der Emmentaler Fritz Gerber (68) weitesten gebracht. Als Steuermann des Pharmakonzerns Hoffmann-La Roche ist er heute einer der erfolgreichsten Wirtschaftsführer der Welt. In seiner bald 20jährigen Präsidial-Aera hat er den absturzgefährdeten Multi mit Bedacht zum hochrentablen Juwel gemacht: Sehr zur Freude der Besitzerfamilien Sacher, Hoffmann und Oeri warf das Unternehmen bei einem Umsatz von 16 Milliarden Franken einen Gewinn von fast vier Milliarden Franken ab. Soeben sah sich Roche mit der Obliegenheit konfrontiert, 15 Milliarden Franken an die früheren Besitzer des Diagnostikkonzerns Boehringer Mannheim zu überweisen. Den letzten Einladungen zur Klassenzusammenkunft konnte "de Fritz" aus Zeitgründen nicht Folge leisten. "Er meldete sich aber jedesmal korrekt ab", erinnern sich Kameradinnen und Kameraden anerkennend. Trotzdem hat der bodenständige Kosmopolit und Artillerie-Oberst die Wurzeln zu seiner Wiege nie verloren. Das Signalement der Huttwiler Volksseele passt perfekt auf Fritz Gerber. Was der einstige Musterschüler in seinem beruflichen Leben anpackte, ging auf wie die Saat der Emmentaler Felder. Ein Freund: "Überall, wo er tätig war, vollbrachte er Höchstleistungen." Jüngstes Beispiel war die unerwartete Boehringer-Uebernahme. Mit sicherem Gespür tätigte er zahlreiche Grossakquisitionen wie Genentech oder Syntex, noch lange bevor die Merger zur Mode wurden. Aber die rentabelste Akquisition von Roche, notierte einst die "Basler AZ", sei Gerber selbst gewesen. Die Züge, die ihn in seinen jüngsten Jahren zuerst in der Elternhaus-Idylle an der Häbernbadstrasse 12 gleich neben der Sägerei am plätschernden Rothbach und später in der "Sonnegg" prägten, begleiteten ihn durch seine berufliche Karriere. Während fast zwanzig Jahren besetzte Gerber ein veritables Doppelmandat: Er war nicht nur seit 1978 Präsident und Konzernleitungschef von Roche, sondern seit 1977 auch Präsident der milliardenschweren "Zürich"-Versicherungsgesellschaft. In diesem Konzern lernte er nicht nur das Handwerk von der Pike auf, er holte sich dort auch die entscheidende internationale Erfahrung in London, Chicago, Toronto, Indien und Australien. Das "Zürich"-Mandat legte er Mitte 1995 nieder mit der Prognose, er wolle seine Führungsverantwortung bei Roche "auch in den nächsten Jahren noch voll wahrnehmen". Heute steht Fritz Gerber auf dem Höhepunkt seiner herausragenden Karriere, die ihn als damaliger Verwaltungsrat der SKA und der IBM Corporation, aber auch als Mitglied des International Advisory Committee der Chase Manhatten Bank, des Advisory Council von Tenneco Europe und verschiedener Beiträte mit zahlreichen Magnaten wie Henry Kissinger, David Rockefeller oder dem früheren deutschen Bundesbankpräsidenten Karl Otto Pöhl zusammenführte. Fruchtbare Kontakte, die Gerber über seine Laufbahn solide begleiteten, führen in jene Zeit zurück. So begegneten sich Halm und Gerber Anfang der siebziger Jahre wieder unter dem "Zürich"-Dach, im Verwaltungsrat der Sachversicherungs-Tochter "Alpina". Gerber fiel schon dem damaligen Bundesrat Hans Schaffner als tüchtiger Beamter auf. Jedenfalls erinnert sich der damalige Chef der Handelsabteilung und spätere Staatssekretär Paul Jolles, wie Schaffner ihm den jungen Juristen als Gesprächspartner empfohlen hatte. Aus dem Dialog wurde Freundschaft, die sich auch im Nestlé-Verwaltungsrat fortsetzte, den Jolles während sechs Jahren präsidierte und dem Gerber immer noch angehört. Immerhin war es Jann gewesen, der Hauptaktionär Paul Sacher auf Fritz Gerber als seinen Nachfolger aufmerksam gemacht hatte. Als erfahrener Troubleshooter und Top-Shot der Versicherungsbranche war Gerbers Profil zur Rekultivierung des skandalgeschädigten Konzerns wie geschaffen. Mit seiner "äusserst strategisch denkenden Führungspersönlichkeit" (so ein Freund) schwor der "vorsichtige Kalkulator" den Konzern seit 1978 auf einen nie erreichten Erfolgskurs ein. Dabei half ihn sein untrügliches Geschick, zur richtigen Zeit die richtigen Leute um sich zu scharen - und ihnen vor seinen Entscheiden auch zuzuhören. In seinem Finanzchef Henri B. Meier hatte er einen so begnadeten Geldvermehrer zur Hand, dass Roche wie eine Bank ein Drittel ihrer Gewinne aus dem Anlagegeschäft realisiert. Als Gerber von Sandoz Pharma-Manager Armin Kessler und Forschungschef Jürgen Drews in sein Haus transferierte, versuchte Sandoz-Boss Marc Moret wutentbrannt aber erfolglos, die Anstellungen rückgängig zu machen. Ganz ohne ist auch Gerber nicht: Mit der ihm eigenen Intuition war er schon in einem frühen Stadium Vertrauter und Kunde von Martin Ebner und seiner BZ Bank. Von Ebners genialem Geschick zu lukrativen Anlagegeschäften vor allem über seine Roche-Investmentfirma Pharma Vision 2000 profitierte auch Fritz Gerber: Sein Vermögen dürfte heute eine Grössenordnung von hundert Millionen Franken erreicht haben. Doch was ist das schon, verglichen mit den Werten, die er Hoffmann-La Roche verschaffte: Bei seinem Eintritt 1978 betrug die Börsenkapitalisierung 6,3 Milliarden Franken; heute sind es 124 Milliarden - fast 20mal mehr. Für die Basler Besitzerfamilien ist Fritz Gerber wie ein Geschenk des Himmels. "Wenn es um den Shareholder-value geht, dann geht Gerber über Leichen", sagt einer, der auf der Strecke blieb. Dies mussten zuvor auch Vizepräsident Alfred Hartmann und der Delegierte Dieter B. Füglistaller erfahren, von denen sich Gerber bald trennte. Auch der als "human" geltende Pharma-Chef Kessler, einst noch als Kronprinz gehandelt, geriet unerwartet zum Frührentner. Roche-Vize Andres Leuenberger ist als Vororts-Präsident in einer Seitenstrasse geparkt. Auch in delikaten Fällen verliert der Manitu der Pillenbranche, ganz Fürsprecher, nie die Fassung: Gerber kann selbst eine fristlose Entlassung so einfühlsam vermitteln, dass beim Betroffenen der Eindruck entsteht, er sei soeben befördert worden. Das Geschick, seine Humanressourcen primär nach dem Grad ihrer Funktionserfüllung zu bewerten - Geber würde sagen: im Interesse der unternehmerischen Zukunftssicherung -, hat ihm auch schon den Spitznamen "smiling killer" eingetragen. Doch wie mit der Stahlbürste kann Gerber auch mit dem Weichzeichner umgehen. Wen er bei seinem prüfenden Blick in die Augen für vertrauenswürdig und zufälligerweise auch geschäftsfördernd befunden hat, wird sein Wohlwollen spüren. So war der verstorbene Wirtschaftshistoriker Hans Conrad Peyer, der zum 100jährigen Firmenjubiläum die Geschichts-Schrift verfasste, als Familienfreund von Gerbers durch den Chef persönlich mit der Recherche beauftragt worden. In einer älteren herrschaftlichen Residenz an der Goldhaldenstrasse im Nachbardorf Zollikon war es, wo sich bei einem steuerbaren Jahresbudget von 3,5 Millionen Franken (1985) Fritz Gerbers eigentliches Familienleben abspielte. Im Haus an begehrtester Wohnlage mit betörendem Blick über den Zürichsee und einem Wert von gegen vier Millionen Franken wuchs die Familie mit drei Töchtern und zwei Söhnen auf, zu denen Gerber eine teilnehmende Beziehung unterhält. Vor einigen Jahren bezog Gerber in der noblen Baselbieter Vorortsgemeinde Arlesheim ein mit hochkarätiger Bilderkunst geschmücktes videoüberwachtes Anwesen, das ein ausschweifendes Panorama auf die elsässisches Ruine Landskron und die romantische Talebene von Leymen freigibt. Hier lebt er in zweiter Ehe mit seiner Frau Renate, der Witwe des 1983 verstorbenen Daimler-Benz-Vorstandsvorsitzenden und früheren "Alpina"-Verwaltungsrates Gerhard Prinz. Nicht nur das Geschäft, auch die gemeinsame kulturelle Affinität brachte den Dirigenten, Musiker und Mäzen Sacher und Gerber als Liebhaber der bildenden Künste näher. Die starke Förderung Jean Tinguelys durch Sachers verstorbene Frau Maya, selbst Bildhauerin, führte den Künstler auch mit Gerber zusammen. Roche ihrerseits bot die Tinguely-Beziehung letztes Jahr die grossartige Möglichkeit, der Öffentlichkeit zum 100jährigen Firmenjubiläum ein eigenes Museum des Basler Künstlers mit Weltruf zu widmen. 30 Millionen Franken liessen sich Sacher und Gerber den von Freund Mario Botta entworfenen, unweit der Konzernzentrale gelegenen Kubus kosten. Genauso, wie bildende Kunst durch Werke von Moore, Luginbühl, Arp und zahlreichen weiteren Künstlern bei Roche längst vor Gerber Tradition hatte, galt Gerbers Leidenschaft schon vor seinem Firmeneintritt der klassischen Modernen. Konstruktivisten und Pop-Art-Grössen von Lichtenstein bis Warhol und von Rauschenberg bis Vantongerloo gehören zu seinen Favoriten. Harald Szeemann, der frühere Direktor der Kunsthalle Bern, zählt zu Gerbers inspiratorischen Animatoren. Die Art, wie Roche unter Gerber den von Otto Salvisberg entworfenen Verwaltungstrakt renovierte und einrichtete, meint ein Sachverständiger, "ist an sich eine hohe Kunst". Kultureller Geist ist auch in der Familie angelegt: Regula, eine seiner Töchter, ausgebildete Regisseurin und ambitionierte Noch-Intendantin am Stuttgarter Theater "Die Rampe", ist seit Anfang 1996 Vizepräsidentin der "Fondation Nestlé pour l'art". Einer seiner Söhne ist Filmemacher. Vertraute billigen dem Firmenchef und Mitglied der Orchesterakademie des Philharmonischen Orchesters Berlin zu, sich "mit der gesellschaftlichen Disharmonie ernsthaft auseinanderzusetzen". Wenn's sein muss, nimmt Gerber auch Einfluss auf die Niederungen der Politik. Als es SP-Regierungsrat Remo Gysin dem Medizinprofessor Werner Stauffacher wegen Interessenkollision verwehren wollte, Roche-Verwaltungsrat zu werden, reichte Gerbers beiläufige Bemerkung des Missfallens, um die Gesamtregierung "umzublasen". Auf Gerbers Seite stand insbesondere der freisinnige Finanzdirektor Kurt Jenny, heute Roche-Verwaltungsrat und Präsident der Sacher-Bank Scobag. Trotz immensem Einfluss und schier endloser Schaffenskraft wird Fritz Gerber gelegentlich umsichtig seine Nachfolge regeln. Der Jurist und Ebner-Freund Rolf Hänggi (52) war vergangenes Jahr ziemlich diskret als Vizepräsident installiert worden. Er ist profilierter Finanzchef - bei "Zürich". Was freilich gar nichts heisst: "Vielleicht", denkt ein Insider laut nach, "wählt Fritz Gerber auch eine ganz andere Lösung". Damit naht auch die Zeit, da Fritz Gerber die Einladung zur Klassenzusammenkunft wieder annehmen kann. An Themen wird es nicht mangeln: Eben gingen in Huttwil 100 Arbeitsplätzen durch die Schliessung der beiden grossen Möbelfabriken verloren. Die eine hiess "Meer". Dort hatte Fritz Gerbers Vater gearbeitet. 12. Juni 1997 |
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