Basler Netz gegen die Greifarme von Scientology Erstmals plant ein Kanton gesetzliche Massnahmen gegen aggressiv werbende Sekten Der brisante Auftrag, mit dem derzeit das Basler Justizdepartement beschäftigt ist, nennt keine Organisationen: Die Regierung - so verlangt es eine Motion der SP-Grossrätin Susanne Haller - soll eine gesetzliche Grundlage vorlegen, die es "Gruppierungen und Einzelpersonen mit offensichtlich und erwiesenem sektiererischen Verhalten verbietet, mit agressiven, suggestiven und rücksichtslosen Methoden neue Anhängerinnen und Anhänger auf öffentlichem Grund zu rekrutieren". Im Visier hat die Abgeordnete aber ohne jeden Zweifel Scientologie, die sich nach aussen als "Kirche" verkauft, von der Parlamentarierin aber schonungslos als wirtschaftliches Unternehmen auf der Basis von "Seelenverkäufern" eingeschätzt wird. Passanten werden in Diskussionen verwickelt Wie ein grosser Teil der Bevölkerung stört sich die Parlamentarierin an der Art, wie Scientology "unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit offensichtlich unsere Demokratie zu unterwandern versucht": Durch die Akquisition von Mitgliedern auf öffentlichem Grund. Während Jahren versuchen Scientologen in der Kino-Strasse Steinenvorstadt und neuerdings in Kleinbasel, Passanten in ein Gespräch zu verwickeln, um ihnen anschliessend im nahegelegenen Büro einen Persönlichkeitstest zu verabreichen oder entsprechende Dianetik-Literatur und Kurse zu verkaufen. Weil diesem "sich ausbreitenden Phänomen der Sekten und sektenartigen Gruppierungen, ihren Suggestivmethoden und ihrer finanziellen Macht" mit der heutigen Definition der religiösen Gemeinschaft "juristisch nicht beizukommen" sei, müsse auf politischer Ebene gehandelt werden unter anderem auch mit Aufklärung schon im Schulunterricht, verlangt die Parlamentarierin. Scientology betrieb Lobbying Mit ihrer Motion verzeichnete sie einen vollen Erfolg: Ihr von 77 Abgeordneten quer durch die Parteien unterzeichneter Vorstoss wurde letzten Dezember ohne Gegenstimme überwiesen. Zuvor hatte Scientology intensivstes Lobbying betrieben: Fünfmal, empörte sich der CVP-Fraktionspräsident Emil Ehret, sei er mit Briefen und Empfehlungen "bombardiert" worden, was er als "ungehörig und belästigend" empfand. Laut Angaben von Markus Melzl, dem Sprecher der Basler Staatsanwaltschaft, sind derzeit keine Verfahren gegen Mitglieder von Scientology hängig. Es sei jedoch schon zu einer Betrugs-Anzeige gekommen, weil an die Organisation "unter Druck Geld gezahlt" worden sei. Das Verfahren verlief allerdings im Sand. Die Strafverfolgungsbehörden beschäftigen laut Melzl "keinen Sektenspezialisten im eigentlichen Sinn". Dennoch habe sich letzten Dezember eine Kadertagung der Staatsanwaltschaft schwerpunktmässig mit Scientology beschäftigt. Auch Regierung ist besorgt Bereits im Mai 1995 war die Organisation ein Thema einer Interpellation von Susanne Haller im Basler Parlament: Polizeidirektor Jörd Schild teilte im Namen der Regierung die Besorgnisse über die aggressive Rekrutierungspraxis. Allerdings, schränkte Schild ein, bestünden keine gesetzlichen Grundlagen gegen die Anwerbe-Tätigkeit, so lange auf Allmend kein Verkauf und keine Sammlung stattfindet. Dies dürfte sich - nach Ueberweisung der Motion - bald ändern. Im Justizdepartement liegen Vorentwürfe für ein Sekten-Gesetz vor, die erst in die Regierung und im Herbst in die Vernehmlassung geschickt werden sollen. Noch dieses Jahr soll dem Parlament ein Gesetzesentwurf zugeleitet werden. Allmend als Forum für freie Meinungsäusserung Departementssekretär Bruno Lötscher trat der Meinung entgegen, es sei als "Einzelfallgesetz" eine eigentliche "Lex Scientology" in Vorbereitung. "Wir wollen nicht Tätigkeiten verbieten, die auf einer Allmend als Forum der freien Meinungsäusserung eigentlich erwünscht sind. Wir wollen aber die Auswüchse verhindern." So dürften Parteien, Gewerkschaften oder andere gemeinwohlorientierte Gruppen keinerlei Einschränkung ihrer bisherigen Freiheiten - wie Flugblatt- oder Standaktionen - erfahren. Auch gegen Scientology an sich könne aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht vorgegangen werden. Rechtsstaatlich sei der parlamentarische Auftrag somit eine "schwierige Gratwanderung". Lötscher wollte freilich keine Hinweise machen, wo die Auswüchse beginnen und mit welchen gesetzlichen Instrumenten sie zu bekämpfen sind. Denkbar aber sind gewisse Bewilligungsverfahren, Verbote oder Interventionen für den Fall, dass Gewerbetreibende aufgrund der Missionierungstätigkeit Umsatzeinbussen geltend machen. Schon heute treffen bei der Interessengemeinschaft Kleinbasel Briefe von Gewerbetreibenden und Banken ein, die ein "entschlossenes Handeln" fordern. Scientology stellt Regeln auf Handeln wird mit Sicherheit auch Scientology: Dieses "weltweit einmalige Sondergesetz" soll nach einem Communique bis vor die Europäische Menschenrechtskommission angefochten werden. Seit Mai letzten Jahres gelten in Basel auch "verbindliche Regeln" für das Missionieren auf der Strasse: Es sei "absolut nicht zulässig, einer Person nachzulaufen, am Aermel zu zupfen oder irgendwie zu versuchen, sie zu drängen, doch stehenzubleiben", schrieb der "Leiter" der in Basel steuerlich nicht als religiöse Organisation anerkannten "Scientology Kirche". 14. August 1997 ECHO Annette Klug |
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