Den SBB droht ein Tunnel-Desaster

Baukonsortium des Bahn-2000-Tunnels von Muttenz nach Liestal steckt in finanziellen Schwierigkeiten

Gravierende Probleme beim Bahn-2000-Tunnel zwischen Muttenz und Liestal: Die Riesen-Bohrmaschine steckt im Berg und das Baukonsortium in finanziellen Schwierigkeiten. Die Auftragsabwicklung ist bereits Juristenfutter.

Bei Bohrbeginn am 22. August 1995 herrschte auf dem Bauplatz der Bahn 2000 in Muttenz ein Fest der Superlative: Die Bahn-, Bau- und Behördevertreter feierten die "grösste Tunnelbohrmaschine der Welt". Das 1'800 Tonnen schwere und 190 Meter lange Ungetüm mit einem Bohrkopf-Durchmesser von 12,5 Metern sollte das Loch unter dem Adlerberg nach Liestal mit einem Vortrieb von bis 25 Metern im Tag ausbohren.

Heute herrscht Katerstimmung: Von den 4'260 Metern sind gerade mal 950 Meter ausgebohrt. Nur noch vier bis fünf Meter pro Woche schafft die gefrässige "Atalanta" im unwägbaren Untergrund. Seit Monaten steht die Maschine immer mal wieder still, weil von oben Kies einbricht, bevor die Betonschalen eingesetzt sind. Bereits mussten die vier Firmen des Baukonsortiums 31 Kündigungen aussprechen.

Doch nicht nur das: Der Arbeitsgemeinschaft - bestehend aus der vom Xamax-Supporter Gilbert Facchinetti präsidierten Firma Infra 2000, Andrea Pitsch AG (St. Moritz), der Schmidheiny-Firma Stamm AG in Basel und der Wenk AG in Frenkendorf - steht das Wasser am Hals.

Gemäss einer Meldung des Wirtschaftsmagazins "Bilanz", die sich auf einen vertraulichen Bericht des Bundesamts für Verkehr (BAV) beruft, betrugen allein Ende 1996 die "unbereinigten Nachforderungen" 60 Millionen Franken. Das ist fast die Hälfte des an das Konsortium vergebenen Auftragsvolumens in Höhe von 131 Millionen Franken.

"Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es grosse finanzielle Probleme gibt", bestätigt Karl Heini, Chef der Hauptabteilung Bau des SBB-Kreises 2. Die Mehrkosten beliefen sich auf eine Grössenordnung, "die für die Arbeitsgemeinschaft tatsächlich existenziell ist". Laut dem BAV-Bericht steckt das Konsortium "vermutlich in Liquiditätsproblemen". Zu den Hauptbetroffenen dürften Infra 2000 und Pitsch gehören, die je zu einem Drittel am Konsortium beteiligt sind und zusammen mit dem Hersteller Herrenknecht als Inventargemeinschaft auch Besitzer der Bohrmaschine sind.

Die Bohr-Pannen im Adlertunnel sind auch Top-Thema im SBB-Verwaltungsrat. Schon seit einiger Zeit läuft ein Schlichtungsverfahren, in dem die Aufteilung der Mehrkosten, aber auch bautechnische und rechtliche Aspekte geklärt werden sollen. Vergangenen Freitag erklärte sich nun der SBB-Verwaltungsrat bereit, so die gewundene Formulierung, "zusätzliche finanzielle Abgeltungen an die Arbeitsgemeinschaft Adlertunnel auszurichten". Laut Suter handelt es sich um einen Betrag "in zweistelliger Millionenhöhe".

Doch damit sind die Probleme nicht vom Tisch: SBB-Sprecher Suter bestätigte gegenüber unserer Zeitung, dass sich das getroffene Arrangement nur auf die bisher entstandenen Mehrkosten bezieht. Weitere Kostenschübe sind in den restlichen drei Vierteln der Bohrstrecke wahrscheinlich: Das jetzige Problemgebiet, in dem die Bohrmaschine nahezu festsitzt, ist erst die dritte von insgesamt 13 prognostizierten Störzonen.

Nach Auffassung des Baukonsoriums tragen die SBB die Hauptverantwortung für die Schwierigkeiten, da der vorgefundene Baugrund nicht mit den in der Ausschreibung genannten Angaben übereinstimme. Konsortiums-Sprecher Edward Schwarz lapidar: "Wir bauen nur, was man von uns bestellt.

Die SBB dagegen sagen, die Ausschreibung entspreche "plus-minus dem vorausgesagten Zustand" (Heini). Ein Bahn-Insider: "Wir haben zu einem vereinbarten Preis einen Tunnel bestellt." Es sei allerdings zu bedenken, dass der Adler-Tunnel mit seinen lockeren Gesteinsmassen "geologisches Neuland" sei: "Wir haben noch nie im Tafeljura einen so grossen Tunnel gebaut."

Dagegen stellen die SBB in Frage, "ob die Bohrmaschine überhaupt so konstruiert sei, dass sie den in der Ausschreibung enthaltenen Anforderungen gerecht werden kann". Umstritten ist mittlerweile auch die gewählte Methode, auf der Baustelle gegossene Beton-Elemente in den Tunnel einzufügen, wobei das nackte Bohrloch über relativ lange Strecken ungeschützt und damit einsturzgefährdet ist. Die sofortige Armierung mit Spritzbeton, sagen Kenner, wäre möglicherweise zweckdienlicher gewesen.

Bisher ist die Verantwortlichkeit noch ungeklärt. Sicher ist, dass die SBB im Zusammenhang mit ihren Neat-Projekten noch mit unangenehmen Fragen über ihre Vergebungspraxis zu rechnen haben. Laut Branchenkennern sind sie bei der Vergabe des Adlertunnels dem Reiz der Dumping-Offerte erlegen, die rund 80 Millionen Franken unter dem Durchschnittsniveau der Hochkonjunktur lag. Jedenfalls behaupten Bahnexperten, andere Bohrmethoden als die jetzt gewählte wären zwar offertmässig teurer, letztlich aber zuverlässiger - und billiger - gewesen.

Mit ihrer Millionenspritze räumen die SBB immerhin eine gewisse Mitverantwortung an der teuren Bohr-Blockade ein. Anderseits dürfte sich die unplangemässe Risikobeteiligung aufgedrängt haben, um das Konsortium vor dem Ruin und das Projekt mit einer neuen Ausschreibung vor dem endgültigen finanziellen Desaster zu bewahren.

Schon heute steht fest, dass die geplante Inbetriebnahme per Mai 2000 um ein Jahr verzögert wird. Diese Information stammt von den nach aussen unbekümmert auftretenden Bundesbahnen. Doch der inszenierte Optimismus ist mit Vorsicht zu geniessen. Noch vergangenen September verbreiteten die SBB frohgemut: "Im Jahr 2000 werden die ersten Züge durch den Adlertunnel rollen."

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Zitiert

"Grosse Erfolge"

Beim Tunnelbau in der Schweiz hat sich in den letzten 30 Jahren eine sehr deutliche technische Entwicklung vollzogen: Die althergebrachte Methode des Sprengvortriebs trat für den Bau der Autobahntunnel und einiger Eisenbahntunnel mehr und mehr in den Hintergrund. Beim steigenden Lohnanteil auf den Tunnelbaukosten und dem Fehlen guter Mineure setzte sich in der Schweiz der Tunnelbau mittels grosser und leistungsfähiger Tunnelbohrmaschinen (TBM) mehr und mehr durch. Die technischen und wirtschaftlichen Erfolge waren gross. Diese Entwicklung kann anhand des Baus vieler Verkehrstunnel in der Schweiz verfolgt werden: Heitersbergtunnel der SBB, Autobahntunnel Sonnenberg der A2 in Luzern, Gubristtunnel der A20, Kerenzertunnel der A3, Zürichbergtunnel der S-Bahn Zürich und mit gesteigerten geologischen Schwierigkeiten Mont-Russelin-Tunnel der Transjurane und Bözbergtunnel der A3 zwischen Zürich und Basel.

(Der Aargauer Bauingenieur Martin Gysel im Auftrag des Adlerberg-Konsortiums in einer Expertenbeurteilung an den SBB-Verwaltungsrat.)

26. März 1997

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