Ich möchte diese Story bestellen und nachdrucken Ihre Meinung (auf "E-Mail" klicken) Die Schamgrenze öffnet sich nach unten Der brutele Uebergriff hat heikle Merkmale: Bei den Tätern, die allesamt schon Porno-Videos konsumiert hatten, handelt es sich um vier Türken und einen Italiener, beim Opfer um eine junge Schweizerin. Schnell machte sich - nicht nur an Stammtischen - Empörung über die "gewalttätigen Ausländer" breit. Allerdings verschweigt Bürgin nicht, dass Kinder und Jugendliche aus der Türkei, Ex-Jugoslawien und Kosovo-Albaner "überdurchschnittlich" an Gewalttaten auch mit sexuellem Motiv beteiligt sind. Als Gründe nennt er die in muslimischen Kulturen besonders behüteten Mädchen, das in der Familie gebräuchliche Schlagen als Erziehungsmittel und das Macho-Gehabe als verinnerlichtes Männlichkeitsbild. Auch hätten viele Jugendliche Mühe, sich mit dem Spannungsfeld der beiden gleichzeitig erlebten Kulturkreise zurechtzufinden. Die Beispiele sind endlos. An der Wandtafel steht eines Morgens: "Du Arsch!", ein Schüler schreibt "Fuck OL" aufs Lehrerpult, weil ihm der bevorstehende Orientierungslauf nicht behagt. "Die ethischen Grundbegriffe von gut und schlecht", so der Kleinklassen-Pädagoge weiter, "bekommen die Schüler oft erst in der Schule vermittelt". Allerdings bestätigt auch er, dass solche Ausdrücke erzieherischer Verwahrlosung keineswegs ausländertypisch seien. Nach Meinung von Hermann Blöchlinger, dem Direktor des Schulpsychologischen Dienstes des Kantons St. Gallen, ist dieser "Skandal" von Muttenz nicht einmal typisch für eine grossstädtische Agglomeration: "Es gibt auch im Kanton St. Gallen einzelne Fälle von Vergewaltigungen durch Sekundar- oder Realschüler." Blöchlinger räumt allerdings ein, dass die vorhandenen Institutionen "eher dann einschreiten, wenn etwas vorgefallen ist". Doch gewinne die Gewaltprävention im Kanton St. Gallen vor allem in den Schulen, aber auch in den Gemeinden, sprunghaft an Bedeutung. Obschon die Basler Attacke zu den krassesten Fällen von Vergewaltigung durch Kinder gehört, will Thomas Bürgi, Leiter des Ressorts Schulen im Basler Erziehungsdepartement "kühlen Kopf" bewahren: "Aktionismus bringt nichts, vielmehr müssen wir unsere Konzepte verstärkt auf Nachhaltigkeit überprüfen." Denn es gebe in der Schweiz "kaum Schulen, in denen Gewalt so stark thematisiert worden ist wie in Basel". So seien die Lehrer ausgebildet, Vorfälle im Pausenhof innerhalb der Klasse zu besprechen. Ebenso hätten einzelne Schulhäuser Regeln für Verhalten und Konfliktbewältigung bei Gewaltanwendung erarbeitet und eingeübt. Als weitere diskutable Möglichkeiten nennt Jugendanwalt Christoph Bürgin drei Bereiche: Vermehrter Einsatz von Schulsozialarbeitern zur ambulanten Betreuung, gute Freizeitangebote statt - wie eben in Basel aktuell - die Schliessung eines geführten und sehr beliebten Fun-Parks, möglichst frühe Thematisierung von Sexualität und Gewalt. Die Recherche unserer Zeitung ergab aber auch, dass an den Staat nicht zu hohe Erwartungen gestellt werden können. Zum einen sind gewalttolerante Eltern häufig schlecht oder gar nicht zugänglich. Zum andern, so bringt es Hermann Blöchlinger auf den Punkt, müsse es zu den erzieherischen Zielen der Eltern gehören, "den Kindern klare Grenzen zu setzen". 22. Mai 1997 |
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