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Die fortschreitende Verflüchtigung des Kantönligeistes

Partnerschaft statt Fusion: Wie Basel-Stadt und Baselland ihre gemeinsamen Probleme lösen

VON PETER KNECHTLI

Als einzige Kantone der Schweiz sind Basel-Stadt und Baselland per Verfassung dazu verpflichtet, ihre gemeinsamen Probleme gemeinsam zu lösen. Seit 22 Jahren praktizieren die getrennten Bruderkantone die Partnerschaft - mit zunehmendem Erfolg.

"Basel, das ist eigentlich keine Stadt, das ist ein auf Dauer nicht überlebensfähiger Stadtkern", sagt einer, der es wissen muss: Der frühere Ständerat Carl Miville. Mitten durch das Häusermeer der Vorortsgemeinden zieht sich die Kantonsgrenze zu Baselland. Im Norden sind zwei Drittel der Kantonsgrenzen zugleich Landesgrenzen zu Deutschland und Frankreich.

Mit ihren 37 Quadratkilometern Heimat fühlen sich viele der nahezu 200'000 Baslerinnen und Basler wie amputiert. Im südwestlichen Hinterland zwischen Rheinknie und Jurakamm liegt das aargauische Fricktal, das solothurnische Schwarzbubenland und der 250'000 Einwohner starke Kanton Baselland mit seinem ehemals bernischen Laufental. Carl Miville ist überzeugt: "Nur eine Fusion der beiden Halbkantonen kann Basel neuen Aufschwung bringen."

1969 scheiterte die Wiedervereinigung beider Basel

Schon einmal, am 7. Dezember 1969, war der Versuch zur Wiedervereinigung gescheitert: Die Baselstädter votierten deutlich für die Wiedervereinigung, doch die Baselbieter verweigerten der gemeinsamen Verfassung ihre Zustimmung trotzig. Im Falle einer Fusion hatten Autonomisten aus dem Oberbaselbiet geplant, die Hauenstein-Passstrasse zu sperren und Basler Passanten zurückzuweisen. Ein Kenner des Blockade-Dispos: "Die Bäume waren schon gefällt."

So sehr der gescheiterte Heirats-Versuch die Basler traumatisierte, so erklärbar macht ihn der historische Zusammenhang. Am 3. August 1833 hatten die politisch unterdrückten Landschäftler in einer bürgerlichen Revolution auf der Hülftenschanze zwischen Frenkendorf und Pratteln den ausrückenden Kompagnien der städtischen Brotherren eine vernichtende Niederlage zugefügt und damit die Gründung ihres eigenen Kantons endgültig besiegelt.

In der Stadt herrscht Depression

Noch heute, 163 Jahre nach der Sezession, bestimmen Mentalitäts-Unterschiede zwischen den einstigen Handwerkern, Bauern und Bandwebern im Baselbiet und der damaligen städtischen Handels-Aristokratie die politische Grosswetterlage - nur unter umgekehrten Vorzeichen: Baselland und seine 86 Gemeinden entwickelten sich zu starken, modernen Gemeinwesen mit bürgernahen Verwaltungen, komfortablen Steuersätzen und ausgeglichener Rechnung - in der Stadt herrscht Depression. Schuldenberg, dreistellige Millionendefizite, Ueberalterung und Rückbau der alles dominierenden Chemieindustrie sind nur die wichtigsten Stichworte der Strukturkrise. Nur in den beiden Basler Landgemeinden Riehen und Bettingen lacht die Steuer-Sonne.

Allerdings gehen die beiden Basel längst nicht mehr völlig getrennte Wege: Als Surrogat für die gescheiterte Wiedervereinigung nahmen sie am 8. Dezember 1974 einen Partnerschaftsartikel in ihre Grundgesetze auf. Die in der Schweiz bisher einmaligen Pionier-Paragrafen verpflichten die Kantone zur Zusammenarbeit bei "Aufgaben, die im gemeinsamen Interesse liegen" - Wohngemeinschaft statt ehelicher Haushalt sozusagen.

Basel-Stadt: Über Beitrags-Höhe nicht zufrieden

Zwar sorgen regelmässige Partner-Pannen nach dem Profitier- und Bettel-Schema regelmässig für Gespött in der regionalen Polit-Szene, doch der Baselbieter Regierungspräsident Andreas Koellreuter zieht eine "positive Bilanz" der 22jährigen Kooperation: Baselland stockte die Beiteiligung an der Basler Universität auf jährlich 75 Millionen Franken massiv auf und nahm neuerdings mit drei Vertretern Einsitz in den Universitätsrat. Unter Baselbieter Federführung gemeinsam getragen werden auch die Ingenieurschule beider Basel in Muttenz und die Motorfahrzeugprüfstation in Münchenstein. Regierungen und Parlamente der beiden Kantone konferieren regelmässig über die aktuelle Traktanden und stimmen ihre Agenden ab.

Der Basler Finanzdirektor Ueli Vischer markiert aber gegenüber Koellreuter einen deutlichen Kontrast: "Ich bin mit der Entwicklung zufrieden, aber noch nicht mit der Beitragshöhe." Doch auch Vischer billigt der Partnerschaft eine zunehmend erfolgreiche Tendenz und eine Verflüchtigung des Kantönligeistes zu.

Gemeinsamer Aufbau der Fachhochschulen

Auch im amtlichen Bereich wird Gemeinsinn mehr und mehr zur Gewohnheit: Luftbelastung und Regionalplanung werden seit langem gemeinsam verwaltet, neuerdings auch die Fortswirtschaft. Auf Geben und Nehmen beruht die Abfallbeseitigung. Vereint treten die Bruderkantone beim Aufbau der Fachhochschulen auf. Eine Team-Leistung ist auch das nicht mehr wegzudenkende pionierartige Umweltschutz-Abonnement für die öffentlichen Verkehrsmittel der Agglomeration.

Der Baselbieter Landratspräsident Robert Schneeberger beziffert den Geldfluss aus der Liestaler Staatskasse nach Basel-Stadt für 1995 auf 107 Millionen Franken. Dieses Jahr dürften es infolge des erhöhten Uni-Beitrags über 140 Millionen Franken oder sieben Prozent des Staatshaushalts sein. Der grösste Teil davon fliesst in städtische Bildungseinrichtungen, rund 40 Millionen in den medizinischen Bereich.

"300 bis 400 Millionen Franken wären nötig"

Der Basler Grossrat und Nationalrat Ruedi Rechsteiner ortet in der gegenwärtigen Abgeltungspraxis der Nachbarn gar eine "Politik der sehr berechnenden Ausbeutung". Zunehmend radikaler verlangen darum Basler Finanzpolitiker eine "adäquate Abgeltung unserer Zentrumsleistungen". Ginge es nach dem Willen städtischer Politiker, müsste Baselland jährlich zwischen 300 und 400 Millionen Franken locker machen.

Grösster Zankapfel bleibt die 500 Millionen Franken teure Universität, an der mehr Baselbieter als Basler Studenten eingeschrieben sind. Obschon das Volk zwischen Schönenbuch und Ammel eine respektable Zusatztranche zahlt, ist der Finanzdirektor des Stadtstaates noch nicht ruhiggestellt: "Wir sind bezüglich Abgeltung noch lange nicht dort, wo wir sein sollten."

1,5 Millionen Franken aus Baselland an das Basler Theater

Unzufrieden sind die Basler auch über die Abgeltung der medizinischen Spitzenleistungen und die vergleichsweise mickrigen Beiträge aus dem Baselbiet an das intensiv genutzte städtische Kulturangebot. Im Zentrum eines zähen Haders stehen die "eher symbolischen 1,5 Millionen Franken" (Vischer), die Baselland ans Basler Theater zahlt, das die Stadt, Orchester und Investitionen inbegriffen, jährlich 60 Millionen kostet. Da pro Vorstellung jeder Platz "mit 150 Franken vom Basler Steuerzahler subventioniert wird", ging im Standortkanton schon mal die Idee um, Auswärtige Besucher kräftiger zur Kasse zu bitten.

Eine Verdreifachung des Baselbieter Beitrags auf jährlich 4,5 Millionen Franken ist zwar längst fällig, doch wollte sie die Regierung an eine Steuererhöhung koppeln, weshalb das Postulat noch immer in den politischen Kochtöpfen Liestals schmort.

Baselland: Geldquelle wird weniger sprudeln

Viel mehr wird aus dem Baselbiet nicht zu holen sein, wie Regierungspräsident Koellreuter beteuert: "Die Beiträge werden nicht mehr in dem Mass wie in den letzten Jahren steigen. Es gibt noch kleine Anpassungen am einen oder andern Ort." Denn Basel, so Koellreuters Einwand, nehme 800 Millionen Franken mehr Steuern von juristischen Personen ein als Baselland. Diese reichlich sprudelnde Quelle könne von gutverdienenden Stadt-Arbeitnehmern, die auf der "Landschaft" wohnen und ihr Einkommen dort versteuern, niemals kompenisert werden.

Am Beispiel des neuen Basler Musical-Theater verweist Koellreuter auch darauf, dass Zentrumsleistungen der Staatskasse in Form von üppigen Billetsteuern und Arbeitsplätzen auch klingende Münzen eintragen.

Die vielschichtigen Verflechtung der beiden Kantone - allein 52'000 Erwerbstätige und Schüler aus dem Baselbiet pendeln täglich in die Stadt, dazu tausende für Einkauf und Vergnügen - hat ein Ausmass angenommen, dass mittlerweile selbst den Parlamenten der Ueberblick über partnerschaftliche Aktivitäten abhanden gekommen ist.

Basler wollten Baselland beitreten

Was, fragen sich viele, hindert die beiden Staatswesen daran, durch die Wiedervereinigung die Effizienz zu erhöhen und Kosten zu sparen. Schon vor sechs Jahren schlugen die beiden Oekonomen Eric Scheidegger und Tobias Ursprung in einer Studie die Auslagerung der Basler Verwaltung und Universität aus der Innenstadt in den Baselbieter Agglomerationsgürtel vor. Durch neuen Wohnraum und private Büros, so das Fazit, könnte der Staat gegen 90 Millionen Franken zusätzlich einnehmen. Das Modell, so Scheidegger heute, sei als eine "Vorstufe zur Zusammenlegung" der beiden Kantone angelegt gewesen.

Dieser Wunsch haftet sehnsüchtig im kollektiven Bewusstsein der Baslerinnen und Basler. Nicht umsonst steht das Ziel der Wiedervereinigung noch immer in ihrer Verfassung. Kreise um den Werber und Historiker Markus Kutter lancierten 1992 gar eine von zwei heutigen Regierungsräten mitunterschriebene Initiative zum Beitritt des Kantons Basel-Stadt zum Kanton Baselland. Der im Baselbiet weitherum als versuchte "Wiedervereinigung durch die Hintertür" verballhornte Vorstoss wurde zwei Jahre später zurückgezogen.

Miville: "Die Wiedervereinigung wird kommen"

Grund: Der Balztanz in Basel-Stadt fällt im Baselbiet auf keinerlei Resonanz. Regierungspräsident Koellreuter: "Es wäre falsch, das Heil in der Fusion zu suchen. Wir beim Staat können nicht einfach Teile auslagern und verkaufen." Der Basler Regierungsrat Ueli Vischer sieht andere Gründe für kalte Schulter der Partner im Kanton an Ergolz und Birs: Die Baselbieter glaubten, eine Wiedervereinigung komme sie teuer zu stehen.

Unentwegt optimistisch bleibt Alt-Ständerat Carl Miville (75): "Ich erlebe die Wiedervereinigung nicht mehr. Aber sie wird kommen."



Plus und Minus-Beispiele der Partnerschaft

Positiv-Beispiel: Universität Basel
Den grössten partnerschaftlichen Obolus mit jährlich 75 Millionen Franken liefert Baselland an die Basler Universität. Wie die Ingenieurschule beider Basel in Muttenz ist die älteste Alma mater der Schweiz, 1460 eröffnet, ein leuchtendes Beispiel grenzüberschreitender Kooperation. Baselland sitzt jetzt auch mit drei Vertretern im neuen Verwaltungsrat der Universität. Die starke Baselbieter Beteiligung hat gute Gründe: Im letzten Wintersemester stammten über 31 Prozent der 8'000 Studierenden aus Baselland, dagegen nur knapp 24 Prozent aus Basel-Stadt. Zudem sind die Baselbieter Studenten in den teuren Fakultäten wie Medizin oder Phil. II besonders stark vertreten. Bemerkenswert: Der neue Uni-Vertrag war in Baselland unbestritten. Bildungsausgaben scheinen als Investitionen in die Zukunft gut angelegt.
Positiv-Beispiel: Tarifverbund Nordwestschweiz
Paradepferd der Partnerschaft von Basel-Stadt und Baselland ist der europaweit beachtete Tarifverbund Nordwestschweiz. Ein Jahres-Abonnement zu 560 Franken (Monat: 56 Franken) berechtigt zur Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel in der ganzen Nordwestschweiz. Zum Tarifverbund gehörden die Baselland Transport AG (BLT), die Basler Verkehrsbetriebe (BVB), die SBB, die PTT, die Waldenburgerbahn und die Autobus AG Liestal. Gründer waren Mitte der achtziger Jahre die BLT und die BVB. Das mit Abstand günstigste Tarifangebot im schweizerischen OeV-Bereich führte zu einer gewaltigen Frequenzsteigerung. 70 Prozent des Umsatzes werden heute über die jährlich 1,8 Millionen "Umwelt-Abos" erwirtschaftet. BLT wie BVB betreiben auch wechselseitig Tramlinien im Nachbarkanton.
Positiv-Beispiel: Motorfahrzeug-Prüfstation
beider Basel, Münchenstein BL

Ein Beispiel vernünftiger Zusammenlegung von Infrastruktur ist die Motorfahrzeug-Prüfstation beider Basel in Münchenstein. Frühere Stationen in beiden Kantonen wurden zusammengelegt, die Mitarbeiter bei der Eröffnung 1975 übernommen und nach basellandschaftlichem Beamtenrecht angestellt. Geleitet wird das staatliche Testzentrum von einer paritätischen Betriebskommission, die jährlich alternierend durch die beiden Polizeidirektoren präsidiert wird. Die selbsttragende Station mit ihrer zweckmässigen Grössenordnung (Umsatz 6,5 Millionen Franken) hat den Test in eigener Sache bestanden: Weder betrieblich noch finanziell verursacht sie ernsthafte Probleme. Die MFP, gemeinsames Eigentum der beiden Basel, muss laut Staatsvertrag nach kaufmännischen Grundsätzen geführt werden.
Negativ-Beispiel: Gesundheit
Es sei den Verantwortlichen zugestanden: Das Spitalwesen, gekoppelt mit einem medizinischen Lehrbetrieb, zählt zu den komplexesten Aufgaben der regionalen Politik. Doch wahr ist ebenso: Mit der Abstimmung von Bedarf, Finanzierung und Mitbestimmung zwischen den beiden Kantonen liegt es im argen. Das lag zum Teil an persönlichen Unverträglichkeiten früherer Sanitätsdirektoren. Aber auch Prestigedenken und Lokalchauvinismus führten dazu, dass teure Ueberkapazitäten drohen, wegen Kündigung des Spitalabkommens durch Basel-Stadt die freie Spitalwahl zeitweise unmöglich wurde und die Zukunft der medizinischen Fakultät in Frage gestellt war. Von der vielbeschworenen "Realteilung" - der eigenverantwortlichen Uebernahme eines Teils der Uni-Kiniken durch das Baselbiet - ist derzeit nichts zu spüren.
Negativ-Beispiel: Theater
Mit der Unterstützung des auf internationalem Niveau liegenden baselstädtischen Kulturangebots (Theater, Museen, Orchester) tut sich Baselland äusserst schwer. Mit 1,5 Millionen Franken jährlich liefert der Landkanton einen äusserst mickrigen Beitrag an das ohnehin spargebeutelte Theater, obschon gerade seine Bewohner(innen) vom Angebot fleissig Gebrauch machen. Der Kurs der Baselbieter Regierung ist diffus: Eine Verdreifachung der Beiträge auf 4,5 Millionen Franken wollte sie erst an eine halbprozentige Steuererhöhung koppeln und damit das sichere Scheitern in Kauf nehmen. Kulturdirektor Peter Schmid will neuerdings ein Subventionspaket für alle wichtigen Kulturträger schnüren. Vorsicht tut Not: Den Schweizer Demokraten ist die Theater-Kultur suspekt, sie drohen schon mit dem Referendum.

10. Mai 1996

 

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© by Peter Knechtli