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Novartis will Schweineherzen in Menschenkörpern schlagen lassen

Der Basler Pharmakonzern setzt mit der Xenotransplantation auf ein riskantes Milliardengeschäft

VON PETER KNECHTLI

Auf dem vorläufigen Höhepunkt der Affäre um den Rinderwahnsinn setzt der neue Pharmakonzern Novartis auf ein riskantes Milliardengeschäft: Die Transplantation von gentechnisch veränderten Tier-Organen in den Menschenkörper. Bereits regt sich Widerstand.

Das Wort "Xenotransplantation" tönt noch fremd und die Chemiekonzerne vermeiden seine Ausdeutschung tunlichst. Aber die Wissenschafter wissen seit langen sehr präzise, was mit dieser neuen medizinischen Disziplin gemeint ist: Die Verpflanzung gentechnologisch behandelter tierischer Organe in den Menschenkörper.

In dieses Geschäft will der neue Basler Chemiekonzern Novartis im grossen Stil einsteigen. Fusionspartner Sandoz, weltweit führend auf dem Gebiet der Transplantations-Medikamente, gab diesen Mittwoch die Übernahme der auf dem Gebiet der Xenotransplantation führenden britischen Biotech-Forschungsfirma Imutran bekannt.

"Organe für die Tausenden schwerstkranker Patienten"

Genauso wie diese Übernahme zum Preis von weniger als hundert Millionen Franken die logische Folge der bereits seit drei Jahren bestehenden Forschungskooperation ist, so folgerichtig ist die Ausdehnung des Transplantationsgeschäfts auf tierische Organe. Mit dem Sandoz-Erfolgs-Medikament Sandimmun, das die Abstossung neuer - bisher menschlicher - Organe unterdrückt und jährlich 1,4 Milliarden Franken Umsatz erzielt, soll der Organaustausch einen bisher nie gekannten Aufschwung nehmen.

"Das Ziel ist, Organe für die Tausenden schwerstkranker Patienten bereitzustellen, für die keine menschlichen Spenderorgane verfügbar sind", beschwor der künftige Novartis-Konzernchef Daniel Vasella diese Woche. Weil menschliche Organe Mangelware sind, helfen Tiere aus. Durch Zucht kann diese Ressource der Nachfrage massgeschneidert gerecht werden. Eine Börsenstudie von Salomon Brothers in London schätzt das Transplantationspotential allein in den USA auf "möglicherweise einige Millionen älterer, aber bis auf ein krankes Organ gesunde Menschen".

Sandoz ist vom Exploit überzeugt

Gemäss der Salomon-Untersuchung rechnet auch Sandoz mit einem weltweit sprunghaften Anstieg der Transplantationen von derzeit 40'000 auf gegen eine halbe Million im Jahr 2010. Entsprechend dürfte der Umsatz von Sandimmun nach wissenschaftlichen Schätzungen auf jährlich sechs Milliarden Franken explodieren.

Sandoz selbst kommentiert die Zahlen nicht, ist aber aufgrund der bisherigen Forschungsergebnisse offensichtlich vom kommerziellen Exploit des neuen Geschäftsbereichs überzeugt. Neben Imutran führt Sandoz bereits Xeno-Allianzen mit den amerikanischen Forschungsinstituten Biotransplant und Deaconess Hospital, das zur Harvard-Universität gehört. Dank medizinischer Therapie sei es gelungen, die akute Abstossung der Organe innerhalb von Minuten oder Stunden nach Verpflanzung zu verhindern.

Auch Aufzucht und Organhandel profitabel

Gewinne versprechen nicht nur die Medikamente Sandimmun und Neoral. Milliardenschwer profitabel könnten auch Aufzucht und Organhandel werden, in dem Sandoz/Novartis eine führende Rolle anstrebt. Als Ersatzteile für den menschlichen Körper kommen tierische Organe wie Herz, Lunge, Niere oder Leber in Frage.

Bereits betreibt die Neu-Akquisition Imutran die weltweit grösste Zucht von gentechnisch auf die menschliche Verpflanzung abgestimmten Schweinen, die nach Sandoz-Angaben unter "strengen wie sterilen Bedingungen" aufwachsen. Im übrigen, betont die Firma, sei die Unterstützung der menschlichen Gesundheit durch Tiere keineswegs neu: Seit über 25 Jahren diene das Schwein dem Menschen ohne Sicherheitsprobleme zur Verwendung der Herzklappen oder zur Gewinnung von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse.

Sandoz hält ethische Skrupel für wenig erheblich

Der moralische Beistand der betroffenen Patienten und ihrer Angehörigen dürfte Novartis möglicherweise mehrheitlich gewiss sein. Sandoz verweist auf eine britische Untersuchung, nach der sich sogar 64 Prozent der gesunden Frauen und Männer zur Rettung ihres Lebens Herz oder Niere eines Schweins einpflanzen liessen, wenn keine menschliche Organe verfügbar wären. Sandoz-Sprecher Mark Hill: "Wir glauben. dass die überwältigende Mehrheit der Öffentlichkeit die Nutzung tierischer Organe für akzeptierbar hält, wenn damit menschliche Leben gerettet werden können."

Ob sich allerdings die ethischen Skrupel auf eine kleine religiöse oder politische Minderheit beschränken lassen, wie Hill meint, ist fraglich. Am Beispiel der Gentechnik - Voraussetzung für Xenotransplantation - zeigt sich nämlich, dass es der Pharmaindustrie und ihren bewusstseinsverändernden PR-Institutionen bisher nicht gelungen ist, die Eingriffe in die Keimbahn mehrheitsfähig zu machen: Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist - wie die Meinungsforschung zeigt - noch immer nicht vorhanden.

Öffentlichkeit skeptisch gegenüber Gentechnologie

Dies zeigt sich daran, dass die anfänglich als Idee einer extremistischen Minderheit marginalisierte Genschutz-Initiative in weiten Teilen der Bevölkerung wachsende Sympathie geniesst. "Das Echo, das wir aus der Bevölkerung erhalten, ist wahnsinnig positiv", sagt die grüne Nationalrätin und Mitinitiantin Ruth Gonseth. Die "Basler Zeitung" berichtete diese Woche von einer vertraulichen Umfrage der drei grossen Basler Chemiekonzerne zur öffentlichen Meinung gegenüber der Gentechnologie, die unter ihren Managern zu einer "starken Verunsicherung" geführt habe: 60 Prozent der Bevölkerung stehen der Gentechnik skeptisch bis ablehnend gegenüber. Ciba-Werkleiter und Basler FdP-Nationalrat Johannes Randegger: "Da steht uns ein schwerer Abstimmungskampf bevor."

Die grüne Politikerin, die Xenotransplantation als "grundsätzlich unethisch" beurteilt, glaubt, dass diese neue medizinische Technik als potenzierte Erhöhung der Gentechnologie noch weniger öffentliche Zustimmung finden dürfte: "Das ist eine wahnsinnige Dimension, zu der ich nur Nein sagen kann." Auch hätten die Anliegen des Tierschutzes und die Achtung der Würde der Kreatur in den letzten Jahren an gesellschaftlichem Ansehen deutlich gewonnen.

Kritiker befürchten "neue Killer-Viren"

Um, nach dem Vorbild der Alpeninitiative, einen unerwarteten Abstimmungserfolg der Gentech-Kritiker(innen) abzuwenden, gewinnt die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags oder gar eines Gentechnologiegesetzes plötzlich neue Aktualität. Ruth Gonseth, Mitglied nationalrätlichen Kommission für Wissenschaft und Bildung und Präsidentin der Schweizerischen Arbeitsgruppe Gentechnologie, drängt schon heute darauf, dass der Gegenvorschlag die Xenotransplantation ausdrücklich verbietet: "Die Leute haben Angst vor der riesigen Gefahr einer Übertragung von Infektionskeimen ."

Die Rinderwahnsinns-Affäre kam Verfechterinnen dieser Position wie gerufen. Die Basler Gentech-Kritikerin Florianne Koechlin spricht in der soeben veröffentlichten Broschüre "Herz vom Schwein?" von "neuen Killer-Viren". Die Verpflanzung von tierischen Organen schaffe eine neue Risikodimension: Seuchen, die bisher nur für Tiere gefährlich waren, könnten sich an das menschliche Immunsystem anpassen. So seien das Aids- und das Ebola-Virus möglicherweise durch Affen auf Menschen übertragen worden.

Petition für ein "sofortiges Moratorium"

Darum lancierte der "Basler Appell gegen Gentechnologie" eine Petition für ein "sofortiges Moratorium für Xenotransplantationen am Menschen": Wenn die Grenzen zwischen Mensch und Tier aufgelöst würden, seien sorgfältige Risikoabklärungen und eine ethische Diskussion vordringlich.

Die Wortwahl dieses Aufrufs erinnert stark an die Anfänge der Kontroverse um Atomenergie und Gentechnik: Die Schweiz dürfte für die Xeno-Promotion ein hartes Pflaster werden.

20. April 1996

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© by Peter Knechtli