Veraltete SBB-Computer: Stress und Chaos in den Schalterhallen

Neues EDV-System macht die Billet-Ausgabe zur Geduldsprobe

Das mit Millionenaufwand entwickelte neue EDV-System der SBB macht die Schalterhallen zu Wartsälen: Die antiquierten Computer sind der anspruchsvollen Software "Prisma" nicht gewachsen.

Das ambitiöse Datenprogramm, in den letzten Monaten auf allen Schweizer Bahnhöfen eingeführt, sollte am Billetschalter eine kundenfreundliche Entlastung bringen. Doch der offensichtlichste Effekt besteht in einer Verschlechterung: Während sich Bahnkunden in Warteschlangen nerven, starren die Schalterbeamten nach Destinationseingabe regungslos auf die Bildschirme, bis die Fahrausweise endlich ausgedruckt sind.

Grund: Der neuen Software, die alle bisherigen Einzeldatenbanken auf einer Gesamtdatenbank vereinigt, ist die mehr als zehnjährige Olivetti-Hardware mit ihrem Betriebssystem nicht gewachsen.

Schalterbeamte bestätigen ausnahmslos, dass die "Prisma"-Einführung bezüglich allgemeinem Bedienungskomfort einen Rückschritt darstelle. Eine SBB-Angestellte von der Kundenfront: "Alle fluchen, die Warteschlangen nehmen kein Ende, viele Leute verpassen den Zug." Aus Mitleid mit den Bahnbenützern legten SBB-Leute mit Passagierkontakt in Schalterhallen "Geduldsäpfel" auf oder informierten per Flugblatt über die Software-Probleme.

Im SBB-Departement Verkehr unter Generaldirektor Hans Peter Fagagnini besteht eigens eine Sektion, die sich während Jahren mit "Prisma", dem grössten je von den SBB umgesetzten EDV-Konzept "Personenverkehrs-Informationssystem", beschäftigte. Auftragnehmerin war die indische Software-Firma TKS.

Peter Lehmann, stellvertretender SBB-Direktor Personenverkehr, hat das "Problem erkannt". Das System sei diesen Sommer in den Bahnhöfen von Solothurn und Zollikofen "getestet und laufend optimiert worden". Aufgrund der jetzt aufgetretenen Stotter-Probleme seien die Bahnhöfe angewiesen worden, "zusätzliche Schalter zu öffnen", was wegen Personalknappheit nicht immer einfach ist.

Mit dem Stop-and-go-Phänomen am Ticketschalter werden aber Beamte und Kunden noch einige Zeit leben müssen. Gegenüber der SonntagsZeitung sagte Lehmann, die Hardware werde im Jahr 1997 durch ein neues leistungsfähiges System abgelöst.

Anwender anerkennen "Prisma"-Vorteile wie schnellere Ausstellung von Kollektiv- und Rundfahrbillets, halten die schlechte Abstimmung mit der Hardware aber für eine Fehlleistung der Projektleitung. Judith Hauptlin, VCS-Beraterin für öffentlichen Verkehr: "Im EDV-Zeitalter ist das eine Zumutung für die Fahrgäste, erst recht bei den heutigen Billetpreisen und den hohen Entwicklungskosten." Nach Informationen der SonntagsZeitung soll das System mehr als fünf Millionen Franken gekostet haben.

Von einem "unheimlich schwerfälligen Programmzugriff" sprechen auch Mitarbeiter des über die Telefonnummer 157 22 22 erreichbaren SBB-Auskunfts- und Reisedienstes "Rail-Service". Brisant daran: Die Wartezeit zahlen die Anrufer mit Fr. 1.19 pro Minute. Dass bei Benützung dieser Dienstleistung der Gebührenzähler aber eifrig tickt, so ein Rail-Service-Profi der ersten Stunde, "wissen die wenigsten Kunden".

30. Dezember 1995

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(c) by Peter Knechtli