Freistilringen im Kompost

Quoten-Partei mit Macho-Macken - Irrungen in der Grünen-Hochburg Baselland


Die Baselbieter Grünen stecken in der Krise: Hinter dem Hader um Personen stehen erbitterte Richtungskämpfe. Da hilft nicht einmal, dass im Baselbiet erstmals in der Schweiz ein Grüner an der Spitze des Parlaments steht.

Am Anfang stand die Angst vor der zivilisatorischen Zerstörung: "Kaiseraugst" und "Schweizerhalle" haben es die Grünen im Baselbiet zu verdanken, dass sie prächtiger gediehen als anderswo: Mit Ruth Gonseth stellen sie eine Nationalrätin, mit Daniel Müller den ersten grünen Präsidenten eines kantonalen Parlaments der Schweiz überhaupt. In mehreren Politikbereichen gelangen den "Grünen Baselbiet" bemerkenswerte Akzente. Allein auf weiter Flur aktiv stoppten sie kürzlich per Referendum den Bau eines übergrossen Kehrichtofens, kaum eine andere kantonale Partei arbeitet so offensiv an der Frauenförderung wie die Grünen.

Doch in diesem buntgescheckten Biotop - einem Sammelsurium der früheren Poch, freischwebenden Grünen und der bürgerlich orientierten Grünen Partei - sprossen nicht nur dringend nötige Schrittmacherpositionen. Ebenso gärten Missgunst, Mauschelein und Psychospielchen. Von Transparenz und Streitkultur war wenig zu spüren, schon leisester Kritik begegneten die Mimosen mit dauerhafter Beleidigung. Die Unvereinbarkeit der hybriden Biografien wurde mit wachen Augen ignoriert, mindestens aber so lange verdrängt, bis letzte Woche der offene Krach unvermeidlich wurde und eine gemeinsame Zusammenarbeit im Urteil der Parteipräsidentin nicht mehr möglich ist.

Die Wirrungen in der Grünen-Hochburg Baselland haben durchaus Beispielcharakter: Sie geben einen Vorgeschmack dessen, wie es landesweit der "Grünen Partei der Schweiz" (GPS) ergehen könnte.

Auslöser ist die Ersatzwahl in die Kantonsregierung vom kommenden März, in der die SVP ihren einzigen Sitz gegen den Anspruch der CVP verteidigen will. Die Gunst der Stunde - Aufspaltung des bürgerlichen Elektorats - wollten pfiffige Grüne, sehr zum Missfallen der christdemokratischen Entourage, mit einer eigenen Kandidatur nutzen. Die überparteilich auf Wohlwollen stossenden Namen wie Gonseth oder Müller, welche die widerstrebenden Fraktionen repräsentieren, waren, interne Verständigung vorausgesetzt, gar für einen Ueberraschungserfolg gut. Doch dann erreichte der Antrag auf Kandidatur nicht einmal die Zweidrittelsmehrheit der Parteiversammlung. Allzu zielstrebig hatte die Parteileitung im Rahmen eines stümperhaften Auswahlverfahrens auf die Männerkandidatur Müller hingearbeitet und ihre Spitzenfrau Gonseth auf dem Trockenstandort kaltgestellt: Sie wurde für eine Bewerbung nicht einmal angefragt.

Schon mit ihrer Amtsvorgängerin Susanne Leutenegger Oberholzer stritt die Administration ums Geld. Die Erkenntnis, dass eine klare Vereinbarung vor Wahlkampfbeginn spätere Reibereien um Reibach vermeiden könnten, blieb aus. Oeko-logisch: Seit längerem steht die verschuldete Parteiverwaltung wegen der Höhe ihrer Mandatsabgaben auch mit Nationalrätin Gonseth auf Kriegsfuss; die Liestaler Aerztin füllt die Parteikasse weit weniger grosszügig als erwartet. Aber auch inhaltlich divergiert die Chemie zwischen Gonseths Berner Wirken und grüner Kantonalpolitik. So desavouierte die Parteileitung ihre Bundesparlamentarierin schon öffentlich, weil sie ohne Rücksprache mit der Zentrale an der Ergolz den freisinnigen Vorstoss für einen Vollkanton Baselland mitunterzeichnet hatte. Säuerlich wurde während der Herbstsession registriert, dass die Abgeordnete im Verbund mit den Rechten für die Dringlichkeit der Teuerungs-Sparbeschlüsse votierte, während die Grünen daheim im Baselbiet gegen Abstriche am Teuerungsausgleich ihrer Beamten wetterten.

Anderseits musste sich auch die Nomenklatura peinliche geschlechtsspezifische Widersprüche vorrechnen lassen. So sind die Schlüsselpositionen der Partei keineswegs paritätisch besetzt, wie sie dies stets weismachte. Das politisch zentral bestimmende Sekretariat und das Fraktionspräsidium sind fest in Männerhand; einzig das Präsidium bekleidet eine Frau, die Schwägerin des Fraktionschefs.

Als hätte sie die Frauenemanzipation bereits überwunden, formierte sich in der Rückschrittspartei eine hemmungslos bekennerische Männer-Lobby um den erfahrenen Parteisekretär Dieter Bertschin. Dieser schlitzohrige Poch-Pionier, ein Prachtsexemplar aus dem Talentschuppen für politische Magie, hatte schon viele erfolgreiche Schachzüge eingefädelt. Aber die langjährige Schattenarbeit, mit welcher der zupackende Praktiker grünen Frauen immer wieder zur Wahl verhalf, muss ihn offensichtlich auch frustriert haben. Mit Mandatsabgaben auf Sperrkonten ist auch bei den Grünen kein Staat zu machen. Heute jedenfalls hält er sich an die bewährte Devise: Gefahren wird nach dem Prinzip des strategischen Erfolgs und nicht des geschlechterspezifischen Anspruchs.

So behaupteten sich dieses Frühjahr die Männer-Macher schon bei der grünen Besetzung des Landratspräsidiums mit Hilfe eines taktischen Kunstgriffs. Gegen die profilierte Parlamentarierin Dorothee Widmer, Wunschkandidatin der Fraktionsmehrheit, setzte sich der "grüne Dani" nur durch, weil die Nominationsdiskussion plötzlich noch auf die Parteiversammlung ausgeweitet wurde. Als Pfarrer Müller am Charme der Macht des respektierten Parlamentspräsidenten Gefallen fand und auch noch auf den Regierungssessel aspirierte, war der letzte Rest an Gemeinsamkeit aufgezehrt.

Zwischen Programm und Praxis öffnete sich ein verhängnisvoller Schlund: Nicht nur sind es die Grünen, die im Frühling ein Volksbegehren für eine 40-Prozent-Quotenregelung lancierten, es ist auch ihre Männer-Lobby, die im Initiativkomitee prominent vertreten ist. Jetzt droht die Partei, an der vieles "crazy" ist, wie sie sagt, an ihrem Macho-Tick zu zerfallen. Erste Parteiaustritte liegen vor, sicherheitshalber machte Müller die Gegnerin Gonseth für die "Spätfolgen" seiner gescheiterten Bewerbung verantwortlich.

Die bühnenreife Inszenierung der Kandidatensuche zielte so unbeirrt in den offenen Konflikt, dass selbst dahinter noch Kalkül stecken könnte: Die von langer Hand vorbereitete Flurbereinigung. 1987 waren die Grünen noch viertstärkste Partei im Landkanton und stärker als die SVP, jetzt drohen sie auf dem Kompost zu landen. Dies braucht keine Zerstörung in eigener Sache zu sein, denn aus Humus könnte Neues spriessen.

Unentbehrlich wird dabei nur einer sein: Sekretär Bertschin. Er besitzt als einziger Grüner im Kanton eine brauchbare elektronische Adressendatei.

24. Dezember 1993

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